Friday, August 15, 2025

Und damit zurück zum Sport

Vorhin habe ich mal mein altes, unveröffentlichtes Blog-Material durchgeblättert und bin auf Entwürfe aus dem letzten Jahr zu einem Beitrag über die Olympischen Spiele in Frankreich gestoßen. Olympia, erinnert ihr euch? Das war das Event, bei dem die Ausrichter im Vorfeld die Obdachlosen aus Paris deportiert haben, damit die Übertragung der Wettkämpfe nicht getrübt wurde. Die Maßnahme wurde von den Medien lange kritisch begleitet, doch letztendlich setzte sich der gesunde Menschenverstand durch - sportliche Events sind nun mal erheblich weniger attraktiv, wenn im Hintergrund verhungernde Gestalten herumlungern.

Ich habe die Fernseh-Übertragungen damals oft verfolgt, mitunter sogar genossen - zumindest wenn wirklich Sport auf dem Programm stand. Das war bei Weitem nicht durchgehend der Fall. Stundenlang wurden Dokus über Wettkampfstätten ausgestrahlt, außerdem Berichte über den Drogenkonsum von Athleten, über kanadische Drohnen, über die Behandlung der Pferde und die Wasserqualität der Seine. (Gott sei Dank wusste damals noch keiner von Christoph Kramers IQ-Test.) Wieso muss dergleichen immer so künstlich aufgebläht werden? Es hätte genug Wettbewerbe gegeben, die stattdessen zu zeigen sich gelohnt hätte.

Gleich vorneweg möchte ich betonen, dass ich die Leistungen diverser Athleten beeindruckt zur Kenntnis genommen habe. Und aus einem - vielleicht fehlgeleiteten - Gefühl des Patriotismus heraus sind mir besonders deutsche Teilnehmer in Erinnerung geblieben, z.B. die 3×3-Basketballerinnen, die Judokas oder das Tischtennis-Küken Annett Kaufmann (potentiall ein hoch aufsteigender Stern, wenn sie sich durch dem Medienrummel nicht aus der Bahn werfen lässt). Mit anderen Worten, ich kann einem sportlichen Event durchaus etwas abgewinnen, auch wenn der Rest des Artikels es eventuell anders klingen lässt.

Wie so oft liegt das Problem darin, was das Fernsehen aus der Sache macht. Die Leistungen der Sportler werden - entweder bewusst oder durch Inkompetenz - geschmälert, bis fast nichts mehr von ihnen herüberkommt. Stattdessen liegt der Fokus auf den Schiedsrichterentscheidungen (könnt ihr euch an irgendein Match in einer Mannschafts-Ballsportart erinnern, bei dem nicht ständig erst die Videoassistenten zum Einsatz kamen und dann der Reporter in herzzerreißendem Ton über das Unrecht klagte, das dem deutschen Team widerfahren war?), auf kuriose Episoden aus dem Olympischen Dorf, und natürlich auf Doping. Bei letzterem ist immer gleich viel Testosteron in der Debatte, und bei den Boxerinnen sogar noch ein bisschen mehr.

Besonders häufig wurden Doping-Verdachtsfälle gegen chinesische Schwimmerinnen erwähnt. Was ist letztlich daraus geworden? Wenn ich das richtig verstanden habe, hat die WADA (Welt-Anti-Doping-Agentur) den chinesischen Verband beauftragt, da mal nachzuforschen, und sich anschließend mit deren Berichten (”Wir haben nix gefunden”) zufriedengegeben. Sehr beruhigend, oder? Wenn sich in der Fußball-Welt Joseph Blatter und Michel Platini im Brustton der Überzeugung gegenseitig Unbestechlichkeit bescheinigen, würden wir es ja auch nicht hinterfragen.

Es gab noch eine Reihe von Themen, die mir aus nicht primär sportlichen Gründen im Kopf geblieben sind. Denken wir zum Beispiel an den Niederländer Steven van de Velde - offiziell Beach-Volleyballer, aber für praktische Zwecke scheint seine Begabung eher im Hodenturnen zu liegen. (Einige Jahre zuvor war er wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen in Großbritannien verurteilt worden und hatte ein Viertel seiner Strafe abgesessen, doch danach schien weder der niederländische Verband noch der Weltverband ein Problem mit seiner Olympia-Teilnahme zu haben. In seinem Heimatland wurde die Tat auf “Ontucht” heruntergestuft, was ja viel niedlicher klingt. Und weil er auch sonst gut “baggern” konnte, war die Welt wohl wieder in Ordnung.)

Das schlimmste Übel sind unverändert die Reporter. Vielleicht habe ich ja nur Pech beim Zappen, und die Qualität der Kommentare ist ansonsten leidlich gut. Das glaube ich aber nicht. Ich weiß noch, das die Sportreporter permanent Dinge erzählt haben, die auf dem Bildschirm komplett anders aussahen. Wenn zum Beispiel in einer Disziplin wie Schwimmen oder Rudern der deutsche Teilnehmer hoffnungslos abgeschlagen war, konnte man Wetten darauf abschließen, dass der Berichterstatter kurz vor dem Zieleinlauf den Satz “Und jetzt wird es RICHTIG RICHTIG ENG” auspacken würde. (Nein, wurde es nicht.) Weitere typische Formulierungen lauteten “Jetzt muss er kämpfen”, “Geht da noch was?”, usw., und natürlich hatte keiner davon einen Bezug zur sportlichen Realität.

Es gab eine Zeit, da sprachen Sportreporter nicht mehr als ein paar Worte pro Minute und konzentrierten sich dabei auf das Wesentliche. Mittlerweile labern und labern die Kommentatoren, als ob sie pro Wort bezahlt werden. Dabei schweifen sie ständig ab und haben entsprechend Mühe, den Faden des Events, um das es ja eigentlich gehen sollte, wieder aufzunehmen. Vermutlich ist es so, dass ihnen von der Regie endlose Mengen an Datenmüll zugespielt werden, und sie glauben allen Ernstes daran, dass sie jede einzelne Information an die Zuschauer vor den Bildschirmen weitergeben müssen.

So kommt es, dass sich die Reporter während des laufenden Wettbewerbs zwar daran erinnern, was in Tokio (oder auch in Rio oder London) passiert ist; sie können problemlos alle Lebensstationen der relevanten Athleten aus den letzten zehn Jahren aufzählen, aber wenn es darum geht, was gerade in den letzten zehn Sekunden passiert ist, sehen sie alt aus. Die sogenannten “Experten” sind keinen Deut besser; ein Fabian Hambüchen hat zwar am Reck regelmäßig eine gute Figur abgegeben, doch ein Mikrofon würde ich ihm nicht länger als fünf Sekunden anvertrauen.

Nun sind Sportübertragungen ohne Ton ungefähr so wie eine Herr-der-Ringe-Ausstrahlung mit klingonischen Untertiteln: Kann man machen, aber es fühlt sich irgendwie falsch an. Das scheinen auch die Fernsehsender zu wissen, und so zielen die Bemühungen ihre Berichterstatter primär auf Geräusch und nicht auf Gehalt ab. Das zeigt sich unter anderem daran, wie sie sprechen. Immer wenn etwas halbwegs Interessantes passiert, geht ihre Stimmlage durch die Decke, oder - noch schlimmer - man hört von ihnen diese künstlich rausgepressten Ausrufe, als ob sie sich kaum noch beherrschen können. Besonders angetan hat es mir in diesem Kontext Alexander von der Groeben, der die besagten “Stilmittel” perfektioniert hat. Theoretisch soll seine Sprechweise wohl grenzenlose Spannung suggerieren. In der Praxis klingt es jedoch eher so, als ob er permanent beim Kacken ist.

Das alles hat übrigens nichts mit der besonderen Größenordnung Olympischer Spiele zu tun. Wann immer ich Sportsendungen im (deutschen) TV einschalte, geht es sehr selten wirklich um Sport. Anfang des Jahres war ich beispielsweise mehrfach in der Stimmung, mir eine Wintersport-Übertragung anzutun; leider standen wohlenlang nur die norwegischen Skianzüge im Vordergrund. Bei der Tour de France… nein, damit sollten wir gar nicht erst anfangen. Und erst kürzlich lief ein Fußballspiel, bei dem der Reporter zu glauben schien, lieber über die Transfersituation eines unbeteiligten Vereins als über die Geschehnisse auf dem Platz berichten zu müssen. Er hätte beinahe ein Tor verpasst - sehr bezeichnend, und beileibe kein Einzelfall.

Ich kann Tennis, Leichtathletik oder irgendetwas anderes einschalten, das Resultat ist fast immer das gleiche. Die Athleten und ihre Errungenschaften werden - fast schon systematisch - in den Hintergrund gedrängt. Man gewinnt den Eindruck, dass die Ergebnisse der Wettkämpfe bei den Sendern niemanden mehr interessieren; vielmehr scheint es das Wesen von großen Sportereignissen zu sein, allein den zahlreichen Pappnasen beim Fernsehen eine Existenzberechtigung zu verschaffen. Es ist traurig, denn hin und wieder wachsen Sportler über sich hinaus und erbringen Leistungen, die es verdienen, gewürdigt zu werden.