Sunday, August 31, 2025

Quickie: Es ist offen

Kürzlich habe ich eine Arztpraxis aufgesucht. Auf einem Schild an der Tür standen deutlich die Worte “Es ist offen”, was vermutlich den Versuch darstellen sollte, das Praxispersonal zu entlasten. Wenn die Patienten wissen, dass sie direkt eintreten können, ist dies um ein Vielfaches einfacher, als wenn ständig einer von ihnen erst klingelt - grundsätzlich ein fortschrittlicher Gedanke. Dummerweise war die Tür abgeschlossen. Ich habe gerüttelt, geklingelt, ein paar Minuten gewartet; alles ohne Erfolg. (Und um dummen Fragen vorzubeugen: Das alles spielte sich während der Öffnungszeiten ab.)

Das Schild ist sicher irgendwann in der Vergangenheit in guter Absicht angebracht worden; daran habe ich gar keinen Zweifel. Allerdings ist es so, dass die Bereitstellung einer solchen Information die implizite Verpflichtung mit sich führt, sie auch aktuell zu halten. Eine freiwillig gestreute Information, die richtig oder falsch sein kann, ist effektiv nutzlos (wie in diesem Fall). Und da haben wir den Salat, denn sehr viele Personen und Einrichtungen kümmern sich nicht ausreichend um den langfristigen Wahrheitsgehalt. Man könnte derartige Schilder wieder entfernen, sobald sie nicht mehr zutreffen, doch daran denkt kaum jemand.

Die Deutsche Bahn weiß sich von dem Problem dadurch zu befreien, dass sie von vornherein keine brauchbaren Informationen liefert. Sie wirft zwar jede Menge Daten in den Raum, besonders wenn es um Verspätungen geht, aber die wenigsten davon sind korrekt; insofern hat auch das Aktualisieren keine hohe Priorität. Und trotzdem… Wenn die Bahnangestellten einfach nur sagen würden, sie hätten keine Ahnung, wann der Zug kommt, aber es könnte noch etwas dauern, dann wäre das zumindest ehrlich. Stattdessen werden minutengenaue Voraussagen gemacht, als hätten die Bahn-Fuzzis die Sache voll im Griff, und in der Realität ist die Trefferquote natürlich verschwindend gering.

In einem besonders denkwürdigen Fall war ich von Hamburg aus in südlicher Richtung unterwegs. Kurz vor Frankfurt Hbf - wir hatten gerade Hanau passiert - fiel mir auf, dass wir zwar einen kleinen Batzen Verspätung hatten, aber die Bildschirme unsere zu erwartende Ankunftszeit erstaunlich optimistisch darstellten. “Kommen wir wirklich pünktlich an?” fragte ich eine Zugbegleiterin, weil ich in Frankfurt einen knappen Anschluss hatte. “Ja warum sollen wir denn nicht pünktlich ankommen?” entgegnete sie gereizt und schaute mich verständnislos an. Die Reaktion auf diese, sagen wir, leicht ignorante Perspektive war, dass ich sie ebenfalls etwas verständnislos anblickte, und damit endete unser Gespräch.

Erst vor wenigen Tagen ist mir wieder einmal aufgefallen, dass Paketdienste inzwischen genauso ticken. Ich hatte online zwei Bestellungen aufgegeben (und die Händler fanden es anscheinend witzig, die Artikel auf insgesamt sieben einzelne Sendungen zu verteilen). Bei den meisten Lieferungen wurde eine Live-Sendungsverfolgung angeboten. Allein bei dem letzten Paket hat sich die prognostizierte Ankunftszeit fünf- oder sechsmal geändert (und zwar nicht nur um Kleinigkeiten, sondern teilweise um mehr als eine Stunde innerhalb von wenigen Minuten). Der tatsächliche Zeitpunkt des Eintreffens lag übrigens nur in zwei von den verkündeten Zeitfenstern, insbesondere nicht dem zuletzt gemeldeten.

Ich habe in der Vergangenheit sogar schon Auskünfte über eine bevorstehende Zustellung erhalten, wenn das Paket das Lager nie verlassen hat. Die korrekte Beschreibung wäre folglich “liegt bei uns rum”, aber das klingt sooo langweilig… Also lieber irgendwas ausdenken und an den Kunden schicken - so funktioniert die heutige Dienstleistungsgesellschaft. Wir leben in einer Zeit, in der immer und überall versucht wird, Informationen zu liefern, selbst wenn es keine Informationen zu liefern gibt. Das Bedürfnis, von Nutzen zu sein (auch wenn man es eigentlich gar nicht ist), ist größer als jegliche Vernunft. Dieses Prinzip gilt bei der Bahn, bei Paketzustellern, und leider noch bei unglaublich vielen anderen Unternehmen, bei denen augenscheinlich immer “offen” ist. Nur Verrückte!