Friday, December 19, 2025
Das wahre Gesicht der Menschen
Zur Zeit leben reichlich acht Milliarden Menschen auf der Erde. Machen wir uns nichts vor, es sind zu viele. Seit Anbeginn der Zeit streiten sich die Bewohner dieses Planeten um dessen Ressourcen, und es ist nicht abzusehen, dass es irgendwann mal in der Zukunft anders sein wird. (Übrigens: Die meisten Menschen leben in Südostasien, auch wenn die Amis mit ihren knapp 5% der Weltbevölkerung glauben, sie wären das Zentrum allen irdischen Geschehens.) Die gute Nachricht bei der Sache lautet, es gibt immer jemanden, über den man sich amüsieren kann.
Für die meisten Arten von Menschen gibt es irgendwo eine geeignete Nische. Wenn man beispielsweise in den USA über zwei Meter groß ist, kriegt man einen NBA-Vertrag angeboten, unabhängig von Faktoren wie Grips und Talent. Wenn man nicht ganz so groß ist, dafür breite Schultern hat, geht man stattdessen in die NFL und hofft, Taylor Swift über den Weg zu laufen. Wenn man den IQ und die Ausstrahlung von verbranntem Toast hat, zieht man ins ländliche Texas; dort sind die Symptome zwar nicht weg, aber man befindet sich zumindest in guter Gesellschaft. Und wenn einer glaubt, dass ihm allein die ganze Welt gehört, zieht er ins Weiße Haus.
Natürlich sieht es bei uns nicht wirklich besser aus. Wenn hierzulande jemand nichts in der Birne hat, versucht derjenige sich als Influencer oder geht zu DHL, was nach meinen jüngsten Erfahrungen so eine Art Sammelbecken für gescheiterte Existenzen zu sein scheint. Wenn man zu blöd ist, in ein Hotel einzuchecken, ohne gleich einen nationalen Zwischenfall auszulösen, wird man ins nächste Dschungelcamp eingeladen. Wenn man aussieht wie ein Kranich auf Ecstasy, dann tritt man der AfD bei. Und so weiter.
Aber da ist etwas, was sehr viele verschiedene Menschen - Sportler, Stars, Politiker, selbst die meisten “normalen” Personen - gemeinsam haben: eine Fassade. Nach außen hin stellen sie sich anders dar, als sie wirklich sind. Sie sagen nicht, was sie denken, sondern das, wovon sie glauben, dass es die Leute hören wollen. Das Bild, dass sie für andere von sich zeichnen, ist nicht die Realität; es ist eine Maske, zusammengeschnitten aus den an sie gestellten Erwartungen. Die Maske legen sie in der Öffentlichkeit nur selten ab, typischerweise aus Versehen.
Ich wollte eigentlich schreiben, dass die besagte Maske heutzutage keine Ausnahme ist, sondern die Regel. Dass sie ein Teil unserer modernen Kultur geworden ist. Oder genauer gesagt dass sie die Kultur selbst geworden ist. Doch dann ist mir klar geworden, dass wir inzwischen an einem Punkt angekommen sind, wo die Menschen die Maske bereits wieder ablegen und zeigen, wie sie wirklich sind. Es gibt Leute, die generell an das Gute im Menschen glauben; ich persönlich glaube eher an das Schlechte. Wir sind egoistisch, rücksichtslos, heuchlerisch. Und anscheinend haben wir kein Problem mehr damit, dass unsere Mitmenschen es auch so wahrnehmen.
Wie bei den meisten Dingen sind die Amerikaner in dieser Hinsicht Vorreiter. Nehmen wir mal Donald Trump. Er ist mittlerweile, Toupet voran, durch seine Maske vollständig hindurchgewachsen. Seit er in der Politik und insbesondere der Präsidentschaft angekommen ist, trampelt er auf der Rechtsstaatlichkeit herum, ignoriert Gesetze und beschimpft seine Gegner nach Belieben. Und seine Gefolgschaft, die kaum zu eigenständigen Gedanken fähig ist - allen voran Karoline “Deine Mutter, Bitch!” Leavitt - tut es ihm nach. Keine Maske, keine Fassade, nur ihr wahres Gesicht.
Sehr deutlich wurde das während des Shutdowns. Um die Situation angemessen beurteilen zu können, muss man wissen, dass “Shutdown” in den USA nicht einfach nur ein Schlagwort ist, eine Schlagzeile über eine Regierung, die nichts zustande bringt. Es ist vielmehr eine Zeit, in der Millionen Amerikaner das Geld nicht bekommen, auf das sie zum Überleben angewiesen sind. Diese existentielle Krise von einem signifikanten Teil der Bevölkerung ist Trump jedoch egal. Es kümmert ihn nicht, wenn Menschen verhungern, solange er nur seinen Ballsaal und vielleicht noch irgendwo seinen ganz privaten Triumphbogen bekommt. Und daraus macht er auch keinen Hehl.
Ich wünschte, wir wären besser als das, aber weit gefehlt. Denken wir mal an den Umgang der deutschen Regierung mit Afghanistan. Über Jahre hinweg hat Deutschland mit lokalen Kräften zusammengearbeitet, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzen. Dann zogen die Amis ihre Truppen ab, andere NATO-Staaten folgten ihnen, und noch vor Feierabend waren die Taliban (wieder) an der Macht. Wir haben den Sympathisanten sogenannter “westlicher Werte” Zusicherungen gemacht; wir haben versprochen, sie zu beschützen bzw. aufzunehmen. Wie sieht es jetzt damit aus?
Die Regierung unter Friedrich Merz hat festgestellt, dass es ihnen eigentlich äußerst ungelegen kommt, wenn sie ihre diesbezüglichen Zusagen einhalten muss. Also wurde den betreffenden Afghanen ein kleines Bündel Geldscheine dafür angeboten, dass sie uns von unseren Versprechungen entbinden. (Zur Klärung, von der Summe kann man gerade mal einen Kühlschrank kaufen, aber keine Existenz aufbauen.) Im Grund lässt sich unsere Einstellung mit wenigen Sätzen zusammenfassen: “Ja sicher, wir haben euch versprochen, dass ihr im Zweifelsfall bei uns wohnen dürft. Aber mal ehrlich, das waren nur leere Worte. Bitte nehmt dieses Almosen, und hört auf, uns zu behelligen, denn eigentlich wollen wir euch nicht bei uns haben.” So sieht das wahre Gesicht der Bundesrepublik Deutschland aus. Es ist traurig, es ist armselig.
Das beste Beispiel aus jüngster Vergangenheit, das mir einfällt, fand kürzlich in der Fußballwelt statt. Ich rede von Infantinos Auftritt bei der WM-Auslosung und der Verleihung des kurzfristig erfundenen FIFA-Friedenspreises - in meinen Augen die erbärmlichste Darstellung, die dieser Sport je erlebt hat. Gianni Infantino - der Mann, der statt eines Schattens eine Schleimspur hinter sich herträgt - ist Donald Trump so tief in den Arsch gekrochen, dass nur noch sein Gesicht rausschaut. Sein wahres Gesicht.
Den Preis gab es bisher nicht, und es sollte ihn auch nicht geben, jedenfalls ganz bestimmt nicht für Donald Trump. Entsprechend groß war der Aufschrei derer, die noch einen Funken Anstand im Leib haben. Aber ach, es wird nichts bringen. Ich würde mir ja wünschen, dass die WM vor leeren Rängen ausgetragen wird, dass Trump bei seiner Selbsthuldigung in menschenleere Stadien hineinwinkt und die Medien sein penetrantes Grinsen einfach herausschneiden. Dazu wird es leider nicht kommen, weil der Fußball-Fanatismus in der Welt letztendlich zu groß ist.
Ich glaube nicht, dass die Nationalgarde, welche zweckmäßigerweise schon in diversen amerikanischen Städten bereitsteht, Zuschauer gewaltsam in die Stadien befördern muss. Die Menschen werden freiwillig kommen, ungeachtet der politischen Situation in den USA oder der unseriösen Ticketpreise. Sie hätten die Gelegenheit zu einem echten Statement, aber sie werden die Chance nicht nutzen. Denn am Ende wollen die Leute das Fußballspektakel sehen - einige live vor Ort, der Rest an den Bildschirmen. Die Menschen reden zwar mitunter davon, ein Zeichen zu setzen, aber sie werden es nicht tun, wenn es mit einem persönlichen Opfer verbunden ist (und sei es nur der vorübergehende Verzicht auf ihren Lieblingssport). Das ist das wahre Gesicht vom Rest der Welt.