Tuesday, October 3, 2023

Der Weg in den Untergang

Es gibt wieder mal verstörende Nachrichten aus den USA. Dort drohte ein neuer Shutdown, doch Kevin McCarthy, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, hat diesen mit einem Kompromissvorschlag abgewendet. Deshalb versuchen seine Parteikollegen jetzt, ihn aus dem Amt zu jagen. Augenscheinlich wollen die Hardliner unter den Republikanern lieber Stillstand und Chaos als ein von den Demokraten geführtes Land sehen. Nur Idioten!

Es sind wilde Zeiten in den USA. Insbesondere Donald Trump wird von einer Anklage zur nächsten gejagt, wobei es abwechselnd um seine Rolle beim Sturm des Kapitols nach der Wahl 2020, um Schweigegeldzahlungen an die Pornodarstellerin Stormy Daniels oder um Unstimmigkeiten bei seinen Finanzgeschäften sowie Immobilienbetrug geht. Endlich wird er als das behandelt, was er ist, nämlich ein Verbrecher. In seinem Kopf ist diese Nachricht natürlich bisher nicht angekommen, denn dort ist er weiterhin der legitime Präsident.

In den sozialen Medien gibt er sich kämpferisch, beleidigt und verleumdet seine Gegner, stellt sich als das Opfer einer Verfolgungskampagne dar. Nur eins hört man aus seinen Statements nie heraus, nämlich Einsicht. Vermutlich lieben seine Follower ihn dafür, selbst wenn er damit die politische Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten zerstört. Bei einer der Anklagen fiel von ihm die Äußerung: “So etwas hätte in Amerika nie passieren dürfen”.

Doch, es musste irgendwann passieren. Amerika, das Land der unbedingten Rechthaber, befindet sich auf dem Weg in einen Bürgerkrieg; man könnte sogar sagen, es ist längst dort angekommen. Es gibt keinen Zusammenhalt mehr, nur noch Fanatismus. Der ultrarechte Flügel gewinnt immer mehr an Macht, während die liberale Schicht einfach so wegbricht. Niemand ist mehr an Kompromissen interessiert.

Wenn ich mir YouTube-Videos über das Leben in den USA anschaue (und damit meine ich zur Abwechslung nicht die Autofahrer, auch wenn diese ein sehr gutes Beispiel abgeben würden), wird mir angst und bange. Ganz normale Menschen werden ohne triftigen Grund feindselig, belästigen oder bedrohen ihre Mitmenschen, verklagen im Extremfall wegen Nichtigkeiten ihre Nachbarn. Das fällt nicht auf, wenn man sich immer nur Nachrichten aus New York City oder Los Angeles ansieht. In Wirklichkeit steht das Land sozialpolitisch und gesellschaftlich am Abgrund.

Inzwischen hat die Vorbereitung auf die Präsidentschaftswahl 2024 begonnen. Mich erschreckt, dass es keine seriösen und gleichzeitig gemäßigten Kandidaten zu geben scheint. Neben Trump selbst, der zweifellos auch nach hundert Verurteilungen noch bereit wäre, das Land zu regieren, kommen Leute wie Ron DeSantis hinzu. Nun wäre zwar alles besser als eine zweite Amtszeit von Donald Trump, aber echtes Vertrauen in ihn hätte ich auch bloß nicht.

Das mag daran liegen, dass er ebenfalls ein erzkonservativer Republikaner ist. In seinem Heimatstaat Florida hat er schon ein paar beängstigende Gesetzesmaßnahmen durchgedrückt, nach denen Kinder in der Schule unter anderem nicht mit bestimmten Themen wie Rassismus und sexueller Orientierung konfrontiert werden dürfen. Ich habe sogar das Gerücht gehört, DeSantis wolle das Bildungsministerium komplett abschaffen lassen. Abgesehen davon, dass man in den republikanisch dominierten Teilen der USA das Fehlen von Bildungseinrichtungen kaum bemerken dürfte, frage ich mich: Wer will so einen Präsidenten?

Naja, offenbar Millionen von Amerikanern; DeSantis wird als aussichtsreicher Kandidat angesehen. Von den Demokraten gibt es wenig Gegenwehr, jedenfalls habe ich dahingehend nichts mitbekommen. Zwar hat Joe Biden die letzte Wahl gewonnen, allerdings kommt es mir falsch vor, ihn als einzigen demokratischen Hoffnungsträger hinzustellen. Der Mann ist 80 Jahre alt. Wenn sich nicht bald etwas bewegt, bahnt sich ein republikanischer Sieg 2024 an.

Wir sollten nicht feixen, denn erstens betrifft die Zukunft der USA auch uns, und zweitens sieht es bei Wahlen im europäischen Raum kein bisschen besser aus. Ob nun Großbritannien, Frankreich, Italien oder Spanien: Überall sind die, die hierzulande die Rechten genannt werden, im Kommen oder haben schon ihren Platz eingenommen. Wenn ich nach Südosten schiele, sehe ich Orban und Erdogan. In den schlimmsten Fällen wird gar nicht mehr richtig gewählt.

Mitunter wird von einem Rechtsruck gesprochen, doch das trifft es nicht ganz; es ist kein spontaner Ruck, sondern vielmehr eine starke, kontinuierliche Bewegung in so ziemlich allen Ländern, die mir einfallen. Und wie sieht es in Deutschland aus? Au weia. Die AfD hat einen gigantischen Aufwind, und im Moment sieht es nicht so aus, als ob es irgendjemanden gibt, der sie bremsen kann. In mehreren Bundesländern werden sie wohl demnächst an die Macht kommen.

Denken wir mal ein Stück zurück, so etwa 20 bis 30 Jahre. Da haben die sogenannten Parteien der Mitte bei uns Politik gemacht - keine gute, aber was solls; es ist schließlich der Gedanke, der zählt. Extremistisch veranlagte Parteien hatten kaum ein sinnvolles Programm, sondern konnten lediglich Ängste schüren. Diese Zeiten sind allmählich vorbei.

Inzwischen sind es die Parteien der Mitte, die sich damit schwer tun, ein Programm hinzustellen, während die AfD - Gott bewahre! - anfängt, Themenfelder zu besetzen. Stattdessen sind es die gemäßigten Parteien, die im Großen und Ganzen nur noch Ängste schüren (nämlich genau vor der AfD). Und selbst das tun sie eher halbherzig. Zwar lehnen alle anderen Parteien in Wahlkämpfen eine Zusammenarbeit mit der AfD offizell ab. Doch wenn es in der Praxis dazu kommt, dass z.B. die CDU die Wahl hat, entweder Opposition zu sein oder mit der AfD zu kollaborieren, entscheidet sie sich gern für letzteres, womit wir wieder beim politischen Heuchlertum sind (siehe meine letzten Artikel).

Insbesondere die aktuelle Regierung scheint auf keinen grünen Zweig zu kommen, weil sich SPD, Grüne und FDP immer wieder gegenseitig die Ideen weggrätschen. Egal ob Klimapolitik, Asylpolitik oder der verzweifelte Versuch, Russland die Stirn zu bieten: Es passiert schlichtweg zu wenig. Ist es vor diesem Hintergrund betrachtet ein Wunder, wenn die AfD im Osten den Löwenanteil (vielleicht sollte ich sagen: den Wildscheinanteil) der Stimmen holt?

Ab und zu wird behauptet, dass es nur die intellektuelle Unterschicht ist, welche die AfD wählt. Aber damit macht man es sich zu einfach. Es genügt nicht, sich von der AfD zu distanzieren und diejenigen Wahlergebnisse zu beklatschen, bei denen sie nicht triumphiert, sondern man muss aktiv etwas bewegen. Die Polarisierung als einziges politisches Konzept ist hierbei nicht zielführend; man muss bereit sein, ein paar Schritte aufeinander zuzugehen.

Genau an der Stelle hat uns das amerikanische Modell voll erwischt. Deutsche Einheit? Kein Gedanke; die Volksparteien kämpfen heute erbittert um die Macht, und keiner will mehr Kompromisse eingehen. Letztendlich sind die Rechten die einzigen Sieger der derzeitigen politischen Strömung. Doch Achtung: Diese Entwicklung hat es in der Vergangenheit bereits einmal gegeben. Wenn es in einigen Jahren wirklich eine einheitliche Bewegung in Deutschland gibt, könnte es zu spät sein.