Tuesday, October 31, 2023

Goggle lässt grüßen

Vor ziemlich genau zwei Monaten hatte ich berichtet, wie ich im Rahmen einer Bahnfahrt Zeuge wurde, dass sich am Hamburger Hauptbahnhof eine viel zu große Schar von Menschen in einen viel zu kleinen Regionalzug nach Rostock drängte. Nun, dieses Erlebnis wiederholte sich am letzten Wochenende in fast identischer Form, und ich möchte annehmen, an den meisten anderen Wochenenden - an denen ich nicht Inspiration suchend am Bahnsteig herum stehe - sieht es ähnlich aus. Die Bahn hatte in dem besagten Zeitfenster zwar mindestens zweimal ihre Webpräsenz überarbeitet (wobei sich inzwischen herausstellt, dass die jetzige Version genauso schlecht funktioniert wie die vorigen), und der nächste Tarifstreit mit den Lokführern deutet sich auch schon an, aber es fahren immer noch nicht so viele Züge, wie es der Situation angemessen wäre.

Der Fairness halber möchte ich betonen, dass meine eigene Reise unkompliziert und halbwegs komfortabel vonstatten ging. Auf der Rückfahrt las ich “Reise um die Erde in 80 Tagen” von Jules Verne, in denen die Protagonisten - ein vermögender britischer Gentleman namens Phileas Fogg mit seinen Begleitern - ähnlichen Strapazen ausgesetzt sind wie Kunden der Deutschen Bahn, wenn sie von Hamburg in nordöstlicher Richtung aufbrechen. Das ist natürlich metaphorisch gemeint; hierzulande werden Angriffe von feindlichen Indianerstämmen eher selten beobachtet, andererseits gab es zu der Zeit, in welcher der Roman spielt, wenigstens hilfreiches Bahnpersonal.

Eigentlich wollte ich ein weiteres Mal über die Verkehrssituation schreiben, doch das Schicksal hatte andere Pläne. Im Rahmen meiner Recherchen gab ich die Frage “Wann wurde das Deutschlandticket eingeführt” in Google ein. Noch bevor ich fertig war, schien die Suchmaschine zu glauben, meine Gedanken lesen zu müssen, und bot mir Vorschläge zur Vervollständigung ein. Besonders die Alternative “Wann wurde das Dirndl erfunden” sprang mir ins Auge. Ich weiß nicht, ob und wie viele Personen in ihrem Browser auf der Suche nach dieser Information sind; vermutlich sind es einige, sonst käme es Google wohl nicht in den Sinn, eine solche Option anzubieten. Allerdings wäre es einfacher, wenn Google einfach warten würde, bis ich meine Frage ausformuliert habe.

Die Google-Autovervollständigung sorgt bei mir regelmäßig für Heiterkeit, und das ist auch gut so. Dieser Tage halte ich es für eine gute Sache, wenn man seinen Humor bewahrt, denn die ganze Welt geht irgendwie den Bach runter. Wir haben einen Krieg in der Ukraine und seit kurzem einen weiteren im Gazastreifen. Die USA führen Krieg gegen sich selbst (jedenfalls im Repräsentantenhaus). Die politische Situation in Deutschland macht ebenfalls keinen guten Eindruck: Markus Söder fordert ohne erkennbare Ironie, dass seine Partei endlich wieder mitregieren darf. Die aktuellen Regierungsparteien halten davon nichts, die AfD bringt sich unbeeindruckt immer weiter in Position, und Sahra Wagenknecht braucht offenbar eine eigene Partei.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass man sich an den kleinen Dingen im Leben erfreuen kann, und an der Stelle lässt uns Google gottlob nicht im Stich. Als ich vor einem halben Jahr über die Gewalt in den USA postete und mich dabei über die Bewegung “Black Lives Matter” zu informieren gedachte, wollte mich die größte Suchmaschine der Welt stattdessen zu Blake Lively umleiten, augenscheinlich sogar gegen meinen Willen. Ich musste den Reiter schließen und von vorn beginnen, so stark war der virtuelle Widerstand und die Hingabe der Maschine zu einer nur zweitklassigen Schauspielerin, deren größte Leistung in Hollywood es war, Scarlett Johansson als Ehepartnerin von Ryan Reynolds verdrängt zu haben.

Ein anderes Mal war ich an ein paar historischen Daten über die britische Monarchie interessiert (Hintergrund war, dass ich unlängst den Film “The King’s Speech” gesehen hatte). Bevor ich “King George VI” komplett eingetippt hatte, hielt es Google für einen vielversprechenden Gedanken, mich auf ein Tattoo- und Piercingstudio in der Lübecker Königstraße hinzuweisen. Das alles ist sicher zum Teil meine Schuld - wenn ich nur “Deutschlandticket” oder “George VI” eingegeben hätte, wäre ich unter Umständen schneller ans Ziel gekommen. Aber man weiß ja nie. Als ich Google testweise mit meinem eigenen Namen konfrontieren wollte, bekam ich schon nach den ersten drei Buchstaben die wildesten Alternativen angezeigt, von “Rolex Air-King” bis his zu einem Motorroller-Händler, welcher übrigens ebenfalls in Lübeck seinen Sitz hatte.

Das kurioseste Erlebnis im gleichen Kontext, an das ich mich erinnern kann, liegt ein paar Jahre zurück. Ich wollte nach “Rubensohl” googeln, einem Begriff aus dem Bridge-Jargon. Denjenigen von euch, die mit dem Kartenspiel und dessen Sprache nicht so viel anfangen können, sei gesagt, dass es sich dabei um eine eher ausgefallene Vokabel handelt, über die man damals selbst mit den Ressourcen des Internets nur schwer etwas in Erfahrung bringen konnte. Die Suchmaschine schien jedenfalls überfordert zu sein. Meinen Sie “Rumpelstihl”?, fragte sie mich schüchtern.

Nun sollte man erwähnen, dass sowohl “Rubensohl” als auch “Rumpelsohl” tatsächlich in der Bridge-Terminologie vorkommt. “Rumpelstihl” hingegen gibt es gar nicht, gab es nie und wird idealearweise auch nie Einzug in die deutsche Sprache halten. Weil ich die ganze Sache so putzig fand, habe ich das Wort im Laufe der Jahre hin und wieder in meinem Browser-Suchfeld eingegeben und noch nie einen einzigen Treffer erzielt. Letzteres ist an sich wohl kaum überraschend, aber man muss sich fragen, wieso Google der Meinung ist, meine sinnvolle Suche in eine sinnfreie korrigieren zu müssen.

Künstliche Intelligenz ist seit einer Weile ein heißes Thema (und ich hoffe, dass wir uns daran nicht verbrennen). Was die technischen Möglichkeiten angeht, bin ich ehrlich gesagt überfragt. Die Science-Fiction-Welt ist voller extremer Szenarien, in denen die Menschheit die Kontrolle über ihr Dasein verliert, weil sie sie an einen Computer abtritt. Selbst wenn wir nicht in naher Zukunft von einer Maschine namens Skynet aus unserer Existenz gebombt werden, muss man doch hoffen, dass die autonomen Systeme, denen wir uns anvertrauen, etwas schlauer sind als die heutige Google-Autovervollständigung. Mein Lieblingsschriftsteller, der amerikanische Autor Bill Bryson, schrieb einmal: “Nennen Sie mich pingelig, aber ich würde doch meinen, dass man ein Computerprogramm, das ein echtes Wort zugunsten eines nichtexistierenden rausschmeißen will, noch nicht auf die Menschheit loslassen sollte.” Weise Worte.