Sunday, March 26, 2023

Ich will Verkehr!

Ich muss gestehen, in meinem Leben gibt es immer mal Phasen, in denen ich mich nicht für Politik interessiere und entsprechend nur wenig von dem mitbekomme, was um mich herum so passiert. Zuletzt wollte ich die politischen Entwicklungen in der Welt wieder etwas stärker verfolgen. Dabei habe ich zur Kenntnis genommen, dass Volker Wissing deprimierend oft in den Nachrichten erschien, typischerweise weil er zu irgendeinem Vorschlag Nein sagte.

Früher konnte ich unsere Bundesminister jahrelang nicht namentlich benennen. Das mag mit meiner politischen Ignoranz zu tun haben. Zu meiner Verteidigung möchte ich allerdings hervorheben, dass Kabinettsbildungen nach einer Bundestagswahl regelmäßig den Charakter eines Hütchenspiels haben. Politiker, die Interesse an einem Ministerposten bekunden, verschwinden plötzlich und tauchen kurze Zeit später in einem völlig anderen Ministerium wieder auf. Wie soll man da den Überblick behalten?

Kompetenz kann in diesem Kontext höchstens eine untergeordnete Rolle spielen, wie die politischen Stationen von Ursula von der Leyen demonstrieren. Sie war nacheinander erst Familien-, dann Arbeits- und schließlich Verteidigungsministerin, fiel aber in allen drei Positionen nur durch ihre Planlosigkeit und ihr penetrantes Grinsen auf. Inzwischen ist sie auf nationaler Ebene kaum noch aktiv und macht stattdessen Brüssel unsicher (was ich kein bisschen beruhigend finde).

Zurück zu Volker Wissing, unserem amtierenden Verkehrsminister. In einem relativ kurzen Zeitraum hat er zwei große Maßnahmen abgelehnt, die eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes bewirken sollten, nämlich zum einen ein Tempolimit auf Autobahnen und zum anderen das Verbrenner-Verbot. Er tat dies in guter FDP-Tradition, bei der man nicht danach trachtet, eigene Ideen zu verwirklichen, sondern primär damit beschäftigt ist, fremde Pläne zu torpedieren. Seine Partei ist sicher stolz auf ihn.

Bei dem zweiten Punkt geht es wohlgemerkt nicht um ein Verbot von Verbrennungsmotoren an sich, sondern nur um Einschränkungen bei Neuzulassungen, und auch das erst ab 2035. Wissing legte sein Veto dennoch ein, weil es ihm an brauchbaren Konzepten für Ersatzkraftstoffe fehlte. Vermutlich glaubt er selbst nicht daran, dass es in den nächsten zehn Jahren gelingen wird, ein solches vorzulegen - was wiederum ein deutliches Licht auf ihn und das gesamte Ministerium wirft.

Volker Wissing ist, wenn meine Recherchen stimmen, der erste Bundesverkehrsminister der FDP; zumindest die letzten Male wurde diese Position immer aus den Reihen der CSU besetzt. Das ist insofern bemerkenswert, als das Ressort seit einer Weile auch digitale Infrastruktur umfasst (der Name des Ministeriums hat sich im Lauf der Jahre mehrfach geändert) und man dem durchschnittlichen CSU-Wähler erst schonend erklären muss, dass DSL nichts Giftiges ist.

Wie dem auch sei, zwischen 2009 und 2017 hatten wir Peter Ramsauer und Alexander Dobrindt als Verkehrsminister - zwei Personen, mit denen man nicht gerade tolle verkehrspolitische Entwicklungen verbindet, sondern die es geschafft haben, Straßen und Schienen gleichermaßen kaputtzuwirtschaften. Nachdem wir diese beiden Plagen hinter uns gelassen hatten, brach Andreas Scheuer über uns herein. Wenn es um dessen Errungenschaften geht… wo fange ich da nur an?

Beim Dieselskandal sorgte Scheuer dafür, dass es keine geordnete Aufklärung gab. Als Messwerte zu Stickoxiden aus Autoabgasen durch die Medien gingen und eine Menge namhafter Wissenschaftler sorgfältig ihre Zahlen präsentierten, verwies Scheuer auf den einzigen, der sich offen verrechnet hatte, einfach weil dessen Resultate am besten zu seinen eigenen Plänen für gesetzliche Grenzwerte passten. Selbst als der Rest der Republik längst begriffen hatte, dass da etwas nicht stimmte, blieb er so standhaft bei seiner Sicht der Dinge, wie man es eigentlich nur von Corona-Leugnern kennt.

Und dann war da noch die Sache mit der PKW-Maut. Unser Verkehrt-Minister schloss Maut-Verträge ab, der Europäische Gerichtshof erklärte die Pläne für gesetzeswidrig, die Verträge wurden wieder aufgelöst, und jetzt verklagen die Maut-Betreiber den Bund auf ungefähr eine halbe Milliarde Euro. Selbst wenn die Summe nicht gezahlt werden muss, kosten allein die Verfahren Millionen, und das über Jahre hinweg. Das Vermächtnis des Andreas Scheuer ist eine gigantische Verschwendung von Steuergeldern ohne ein einziges brauchbares Ergebnis.

Vielleicht sehe ich das alles ja falsch, und die Leitung des Verkehrsministeriums ist wirklich eine schwierige, undankbare Aufgabe. Das glaube ich aber nicht. Mein Eindruck ist eher, dass dort in letzter Zeit die größten politischen Pappnasen landen (und seien wir mal ehrlich, Andreas Scheuer ist intellektuell völlig ausgelastet mit der Frage, ob bzw. bei welchen Anlässen er seinem Namen einen Doktortitel voranstellen darf).

Ich habe den heimlichen Verdacht, dass in den Koalitionsverträgen irgendwo eine unauslöschbare Klausel steht, dass es im Kabinett einen absoluten Vollpfosten geben muss. Und zufällig trägt es sich nach jeder Wahl zu, sobald sich die Ministerkandidaten zur Kabinettsbildung versammeln, dass einer von ihnen aufspringt und “Ich will Verkehr!” brüllt. Daraufhin atmen alle anderen kollektiv auf und werfen einander die üblichen Ein-Problem-weniger-Blicke zu (womit sowohl die Person als auch das Ressort gemeint ist).

Das ist einerseits nachvollziehbar, andererseits aber auch bedauerlich. Denn neben den Bereichen, die uns zuerst in den Sinn kommen, weil wir sie für besonders wichtig halten (z.B. Finanzen, Umwelt, Bildung, Gesundheit), kann man auch im Verkehrsministerium etwas bewegen. Man muss nur wollen. Wissing ist in die Fußstapfen von Leuten getreten, die scheinbar nicht wollten. Mal sehen, ob er es schafft, eigene Spuren zu hinterlassen.