Saturday, June 22, 2024
Die Welt zu Gast bei Bekloppten
In dem Filmklassiker “Wer den Wind sät” von 1960 spricht Spencer Tracy in denkwürdiger Weise über “die einzige Begabung des Menschen, die ihn über die anderen Geschöpfe erhebt: Die Kraft seines Gehirns, vernünftig zu denken! Was für andere Vorzüge haben wir denn? Der Elefant ist größer, das Pferd ist schneller und stärker. Der Schmetterling ist weitaus hübscher als wir. Der Moskito ist viel fruchtbarer, und selbst der einfache Schwamm ist bedeutend dauerhafter.” Was die menschlichen Kapazitäten angeht, läuft die Evolution inzwischen anscheinend in die falsche Richtung. Die Menschen tun sich intellektuell schon schwer mit einfachen Tätigkeiten im Alltag, von komplexeren Aufgaben ganz zu schweigen, doch körperlich können wir es mit Pferden und Elefanten auch weiterhin nicht aufnehmen.
Als ich vorhin draußen war, kam ich an einer Hauptstraße vorbei, an der Autofahrer ihre Unfähigkeit demonstrierten konnten, geordnet zu parken. Zehn Parkpositionen in einer Reihe (nur durch Markierungen auf dem Pflaster getrennt) wurden von sechs Autos in einer Weise okkupiert, dass es schwierig wurde, dort noch ein siebtes schadfrei unterzubringen, ganz abgesehen von Numero acht, neun und zehn. Und wieder einmal habe ich mich unwillkürlich gefragt, was in den Köpfen der Leute vorgeht, wenn sie diese “Leistung” erbringen. Verdummung in allen Lebenslagen, der Dauerbrenner und das Kernelement auf meinem Blog.
Damit sind wir beim eigentlichen Thema des heutigen Tages angelangt, nämlich bei der Fußball-EM. Seit einer Woche herrscht hier so eine Art intellektueller Ausnahmezustand, allerdings qualitativ leider nicht nach oben hin. Vielmehr haben 80 Millionen Bundesbürger wieder mal einen Anlass, sich vor die Glotze zu setzen (bzw. ein Public Viewing aufzusuchen), Bier und Chips rauszuholen, lautstark unsinniges Zeugs herumzugrölen und die wenigen noch aktiven Gehirnzellen auf unbestimmte Zeit in den Ruhezustand zu versetzen.
In den ausländischen Medien wird vieles kritisiert, zum Beispiel der Umstand, dass Bier auf den Fanmeilen extrem teuer sei. Das darf uns nicht wundern, denn entgegen der landläufigen Meinung ist die EM primär kein sportliches, sondern ein wirtschaftlich motiviertes Event. An anderer Stelle geht es um die Fähigkeiten der Bahn, die Live-Zuschauer pünktlich von A nach B zu bringen. Wenn man sich im Vorfeld nur ein bisschen schlau gemacht hätte, wäre man auf die Information gestoßen, dass das nicht als selbstverständlich angenommen werden kann. Wir mögen in anderen Ländern vielleicht den Ruf haben, ein zuverlässiges und fleißiges Völkchen zu sein, aber in Wirklichkeit sind die Deutschen himmelschreiend bürokratisch und darüber hinaus bei allen Belangen von Relevanz gefährlich inkompetent.
Die Bahn - auf die ich mich in letzter Zeit wieder ein wenig eingeschossen habe - gibt an, dass es ihr bedauerlicherweise und entgegen der Erwartung nicht gelungen ist, alle Baustellenprobleme im deutschen Streckennetz rechtzeitig zu lösen. Nun, vor zwei Wochen habe ich einen Wochenendausflug von Hamburg nach Unterfranken und zurück unternommen. Der Zielort war reichlich abgelegen; es war eine so idyllische Region, dass selbst junge Männer dort mit großer Begeisterung sonntagmorgens mit ihrem Pudel Gassi gehen. Nur die Bahnfahrt war eine Katastrophe. Wir hatten hinwärts drei Stunden Verspätung und rückwärts auch nochmal mehr als eine. Die Bahn begründete das alles mit der Baustellensituation, Unwetterschäden und einem hohen Verkehrsaufkommen. Mit anderen Worten, die Situation war lange bekannt gewesen.
Zurück zum Fußball. Mittlerweile ist es ja so, dass (vermutlich um den Anschein von Gleichberechtigung zu vermitteln) Frauen in allen Bereichen des Fußballwesens auftreten, konkret als Schiedsrichter, als Trainer, und insbesondere in letzter Zeit vermehrt als Kommentatoren. Die Frauen geben hierbei kein sehr gutes Bild ab, doch das tun die Männer auch bloß nicht, also kann man getrost konstatieren, dass sie hinreichend qualifiziert sind.
Vor langer Zeit hatte ich mal ein Buch mit den kuriosesten Fußball-Zitaten in der Hand. Die folgende Perle wird Didi Hamann zugeschrieben: “Dass mein Gegenspieler mich umgestoßen und am Torschuss gehindert hat, hab ich ja noch wegstecken können, aber als er mich obendrein noch einen Pardon geheißen hat, habe ich die Nerven verloren und nachgetreten.” Zum Schießen. Mittlerweile ist es natürlich Käse, für ein solches Buch Geld auszugeben, denn es gibt genug Internet-Seiten, auf denen man dergleichen gratis geliefert bekommt, doch der Unterhaltungsfaktor ist auf jeden Fall hoch.
Eine andere Begebenheit, die schon fast 20 Jahre zurückliegt, und in diesem Kontext mein persönlicher Favorit: Während eines Spiels ist auf dem Rasen wenig los, also gibt die Regie die Anweisung, mit der Kamera über die Tribüne zu fahren und ein paar Bilder von den Spielerfrauen aufzufangen. Der Reporter - der nicht genug bei der Sache ist, um das geänderte Bildmaterial zur Kenntnis zu nehmen - bemerkt trocken: “Schöner Fußball sieht anders aus.” Objektiv gesehen könnte man die Episode als unfreiwillige Komik abtun, aber ich habe beim Fernsehen auf der Couch gefeiert.
Schon damals waren Sportberichterstatter keine Intelligenzbestien, und das Niveau ist seitdem nochmal beständig gefallen. Die Kommentatoren und die Experten (eine euphemistische Bezeichnung für früher aktive Spieler) plappern heutzutage einfach so vor sich hin und vollbringen damit das verbale Äquivalent zu 90 Minuten Nasebohren mit Halbzeitpause. Zwar ist es eine deprimierende Erfahrung, Fußball ohne Ton zu schauen, aber wer möchte sich andererseits schon ein ganzes Spiel lang Sportkommentare in deutscher Fernsehqualität antun? In meinen Augen die Wahl zwischen Pest und Cholera. In der Regel ziehe ich Fußball mit Ton vor, jedoch ist das letztendlich ungefähr genauso anregend, als würde man anderthalb Stunden lang Smalltalk mit sich selbst führen. Und dabei können wir noch froh sein, dass sich Oliver Pocher nicht unter die Sportreporter mischt.
Was übrigens die Ergebnisse angeht: Deutschland hat die Vorrunde souverän gemeistert - besonders bei Nationalspielern der jüngeren Generation eine völlig neue Erfahrung. Dummerweise kann dann in der KO-Phase jedes Spiel das letzte sein, das begreift sogar ein Joshua Kimmich. Darüber hinaus stehen die Schiedsrichterleistungen nicht weniger im Fokus als die der Spieler. Aber was soll man auch erwarten, wenn in einem offiziellen UEFA-Event eine Pfeife nominiert wird, die in der Vergangenheit an einem der größten deutschen Fußball-Skandale durch Spielmanipulation beteiligt gewesen war?
Kurz gesagt, die EM ist in jeder Hinsicht ein großes Spektakel, nur kein geistreiches. Wie so oft wird das auch gar nicht erwartet. Wir sind inzwischen, das sagte ich schon ein paarmal in früheren Beiträgen, mit wirklich wenig zufrieden. In gewisser Weise ist das alles vielleicht ganz gut so, denn auf diese Weise kann die ganze Welt sehen, wie die (Geistes-)Zustände in Deutschland sind, und dass unsere Nation in so manchem Kontext kein gutes Vorbild abgibt. Ich bezweifle, dass das mediale Rampenlicht auf ganzer Linie zu einem heilsamen Schock führt, trotzdem sorgt die EM vielleicht dafür, dass hier und da die Scheuklappen abgelegt werden? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.