Wednesday, April 12, 2023

Vom Bedürfnis, an der Spitze zu stehen

Manchen Leuten sollte man wirklich verbieten, vor eine Kamera zu treten. Als ich meinen Blog begonnen habe, hatte ich vor, über die Verdummung der Menschen zu schreiben, und inzwischen glaube ich fest daran, dass ein paar Personen mit ihren öffentlichen Äußerungen im Alleingang den Durchschnitts-IQ der Bevölkerung um fünf Punkte gesenkt haben. In unserer Welt muss man einen Befähigungsnachweis erbringen, um Auto zu fahren, medizinische Berufe zu praktizieren oder schwere Maschinen zu bedienen - warum nicht auch, um Interviews zu geben?

Auslöser meiner heutigen Tirade ist das DFB-Pokalspiel zwischen dem FC Bayern München und dem SC Freiburg vor einer Woche, bei dem die Bayern ausgeschieden sind. Also nicht das Spiel selbst, sondern die anschließenden Erklärungen von Spielern und Funktionären des FC Bayern. “Am Ende des Tages kotzt mich das brutal an, je mehr Titel wir verspielen”, so poltert beispielsweise Joshua Kimmich.

Diese Äußerung mag, genau wie viele andere, zunächst recht harmlos klingen. Aber wenn man zwischen den Zeilen liest, hört man das Selbstverständnis der Münchner heraus. Sie sind offenbar der Ansicht, ihnen würden die Titel aller großen Fußball-Wettbewerbe von vornherein erstmal zustehen. Jetzt hat ihnen das Schicksal auf grausame Weise einen Titel weggenommen; das ist doch grob ungerecht. Immerhin konnte er den Freiburgern mit seinem provokanten Jubel bei der Liga-Revanche einen reindrücken und so seinem Ego ein Ventil geben, was natürlich die Hauptsache ist.

Die Kimmichs dieser Welt haben ein Rad ab, finde ich. Nun sind Fußballer generell nicht für ihre rhetorischen Qualitäten berühmt, aber früher hatten ihre Zitate zumindest Unterhaltungswert (”Mailand oder Madrid - Hauptsache Italien”). Inzwischen fällt es mir schwer, nach einem Fußballspiel Interviews anzuhören, ohne mir unmittelbar an den Kopf zu greifen. Bei einer Partie mit Beteiligung der Bayern gilt das umso mehr.

Es gibt noch eine zweite Gattung von Menschen, auf die eine ähnliche Entwicklung zutrifft, nämlich CDU/CSU-Politiker. Denken wir mal 15 bis 20 Jahre zurück. Wenn da ein Edmund Stoiber ans Mikrofon trat, wusste man: Es wird nicht besonders informativ, aber auf jeden Fall unterhaltsam. Heute kann man das wirklich nicht mehr sagen. Wann immer ein Söder, Spahn oder Merz zur Rede ausholt, sollte man schon einmal an die Hausapotheke gehen und das Valium herausholen.

Pünktlich zu Ostern kommt unser Merzhase angestapft und hängt seine Löffel in die Kamera. Er spricht von einer Regierungskrise und stellt es mehr oder weniger so dar, als könnte seine Partei allein das Land retten. Ich kriege einen gigantischen Hals, wenn die Politiker, die das Land über Jahrzehnte hinweg von einer Sackgasse bzw. Krise in die nächste manövriert haben, sich plötzlich als Heilsbringer präsentieren, und Friedrich Merz ist für mich dieser Tage das personifizierte politische Heuchlertum.

Die CDU hat mit dem FC Bayern München gemeinsam, dass sie zu denken scheint, ihnen würde die Spitzenposition (in ihrem Fall also die Regierungsgewalt) a priori zustehen - unabhängig von den Stimmen, die sie bei den Wahlen erzielen, und im Übrigen auch unabhängig von der Frage, ob sie Konzepte zur Lösung konkreter Probleme mitbringen. Bei einem Durchschnittsbürger würde man von Realitätsverlust sprechen und eine psychiatrische Behandlung empfehlen. In der Politik hingegen ist man mit dieser Einstellung in guter Gesellschaft.

Die ehemaligen Weggefährten von der FDP sind nicht viel besser. Unvergessen ist beispielsweise das “Klima-Blabla” von Volker Wissing, über den ich mich bereits in einem anderen Artikel ausgelassen habe. Er hat anscheinend noch nicht realisiert, dass seine Partei der Junior-Partner in einer Regierung mit Beteiligung der Grünen ist, die ganz nebenbei deutlich mehr Stimmen erzielt haben.

Erst gestern wieder hörte ich im Fernsehen zufällig eine Erklärung von Christian Dürr. Diese war zwar sehr ausschweifend, lässt sich jedoch mit wenigen Worten zusammenfassen. Im Grunde lief es darauf hinaus, dass die FDP als einzige Partei wirklich weiß, wie die Regierung handeln muss, um die zahlreichen Probleme zu lösen, mit denen unser Land aktuell kämpft. Vermutlich hat die FDP in seinem Kopf immer noch eine Oppositionsrolle, und von der Opposition wird ja erwartet, dass sie alles besser weiß - vom richtigen außenpolitischen Umgang mit Russland bis hin zum bevorstehenden Atomausstieg.

Früher hatten Politiker den Anstand, ihre verbalen Exkurse schönzureden. Sobald man sie mit einer ihrer Äußerungen konfrontiert hat, sind sie ausgewichen und haben herumgestammelt, dass sie aus dem Kontext gerissen wurden. Oder wenn eine pikante Email von ihnen an die Öffentlichkeit gelangt ist, haben sie erklärt, der Inhalt wäre in Wirklichkeit nicht so gemeint, und sie wären nur versehentlich an die Mouse gekommen. Kurz gesagt, sie haben die Kunst der Ausrede beherrscht.

Heutzutage stellen sie sich auf Nachfrage einfach hin und geben unverblümt zu, alles genau so gesagt und gemeint zu haben. Das heißt, sie verteidigen ihre drastischen Thesen (solche, die man in der Vergangenheit hauptsächlich aus populistischen Gründen im Wahlkampf aufgestellt hat) inzwischen mit Hingabe. Das ist eine sehr unerfreuliche Tendenz, die zu mehr Spaltung, Radikalisierung und Fanatismus in der Gesellschaft führt. Es ist der Anfang der Methode Donald Trump. Wir sollten uns nicht alles als Vorbild nehmen, was in den USA gerade passiert.